Schlechtwetter
Diese Geschichte ist von Willi Tebben, sie gehört zu dem Beitrag unter „Schlechtwetter
Dezember 1969. Die DES „ELISABETH SCHULTE“ lag in Baton Rouge am Mississippi River, um eine Ladung Borax zu übernehmen. Normalerweise wurden hier Bulk Carrier in relativ kurzer Zeit beladen. Die „ELISABETH“ fasste lediglich 3200 Tonnen. Schnell wurden die vier Luken gefüllt. Das Schiff musste ständig verholt werden, um eine gleichmäßige Beladung zu gewährleisten. Trotzdem wurden in Luke 3 und 4 ca. 800 t zuviel geschüttet. Das Schiff war schwer achterlastig. Die „ELISABETH“ hatte voll abgeladen nur knapp 1,20 m Freibord. Jetzt schwappte bei jedem vorbeifahrenden Schiff das Wasser achtern übers Hauptdeck . Kein gutes Gefühl für die Reise über den winterlichen Nordatlantik nach Liverpool / Kanada (Nova Scotia). Diese Reise stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Kurz vor New Orleans fiel unser Backbord-Diesel mit einem Kolbenfresser aus. Das mittlere Aggregat war mit gerissenen Motorblock schon seit Längerem nicht betriebsbereit. So humpelten wir nur mit dem Steuerbord-Diesel den Mississippi Richtung Golf herunter. Normale Manöver waren zwar noch möglich, aber als es hieß: „Maschine Stop“ und wir danach wieder anfahren wollten, ging nichts mehr. Die Belastung beim Anfahren der Fahrmotoren war für das Aggregat zu groß. Also Ankern. Riesen-Hektik im Maschinenraum. Fieberhaftes Arbeiten am Backbord-Diesel, um die Laufbuchse und den Kolben zu wechseln, fieberhafte Versuche, die Schutzschaltungen so zu manipulieren, dass sie einen kleinen Moment länger durchhielten, damit die Fahrmotoren auf Touren kamen. Mit mulmigen Gefühlen fuhren wir weiter.
Die weitere Reise verlief ohne besondere Vorkommnisse. Das Wetter war gut, die Stimmung bestens. Bis auf Höhe Cape Hattaras. Hier wartete ein gewaltiges Schlechtwettergebiet auf uns. Wir bekamen so richtig eins auf die Mütze. Die „ELISABETH“ arbeitete schwer in der sich hoch auftürmenden See. Brecher donnerten über das Deck. Es wurde per Telefon Im Fahrstand angefragt, ob wir noch da wären. Die Antwort auf unsere Rückfrage war, dass wir achtern mehr unter als über Wasser fuhren. Und so kam, was kommen musste: Eine See drückte achtern das Kombüsenschott ein, so dass wir gezwungen waren, den Strom für die Kombüse abzuschalten, weil alles unter Wasser stand. Wir mussten für ein paar Tage auf warmes Essen verzichten. Die Stimmung war trotzdem nicht schlecht, denn Kaffee konnte in der Pantry noch gekocht werden, wenn auch nur zu dritt. Einer hielt die Kaffeekanne fest, der Zweite den Filter und der Dritte füllte Wasser nach. Alles was nicht befestigt war, musste festgehalten werden, sonst flog es durch die Gegend. Unsere „ELISABETH“ machte Bocksprünge. Der Sturm nahm zu und war zum Orkan angewachsen. „Wasser über Deck und Luken “ hießen von nun an die Tagebucheinträge. Irgendwann hielt das Stb.- Schanzkleid den Seen nicht mehr stand. Es war halb abgerissen und schlug bei jeder Bewegung und jedem Brecher an den Schiffsrumpf. Die „ELISABETH“ befand sich jetzt in Schwierigkeiten, denn ein Leck in der Bordwand hätte das Ende bedeutet. Das Schiff wurde gestoppt, damit das Hauptdeck nicht mehr überspült und ein Betreten möglich wurde. Die Besatzung versuchte, das schlagende Schanzkleid abzutrennen. Natürlich waren alle angeleint, aber trotzdem musste mancher wieder an Bord gezogen werden, nachdem ihn ein Brecher über Bord gefegt hatte. Schließlich gelang es aber, die Verschanzung abzutrennen und alle weggerissenen Tankentlüftungen und Peilrohre abzudichten.Die „ELISABETH“ ging wieder auf Kurs, unser Ziel war zwar noch weit, die größte Gefahr aber gebannt.
Am zweiten Schlechtwetter-Tag , welches noch vier weitere Tage dauern sollte, kam die nächste Hiobsbotschaft. Zufällig schaute ich durchs Bulleye über das Hauptdeck und sah den Bootsmann an den Strecktauen zwischen zwei Brechern über die beiden achteren Luken sprinten. Auf Luke drei stoppt er seinen Spurt, stutzt, guckt sich um und verschwindet gerade noch rechtzeitig vor dem nächsten Brecher in den Brückenaufbau. Kurz darauf wurden die Maschinen gestoppt .
Was war passiert? Ein Teil der Keile, die die geschlossenen Luke 3 +4 sicherten, waren aus ihren Lagern herausgefallen. Die Lukendeckel auf Luke 3+4 lagen offensichtlich lose auf. Es bestand die Gefahr, dass die Lukendeckel von überkommenden Seen aufgeschwemmt wurden und die Luken vollliefen. Jetzt musste schnell gehandelt werden. Zunächst versuchten wir, die Keile direkt an der Luke mit unserer provisorischen Schweissanlage zu sichern. Das misslang. Darauf wurden die Keile nach und nach in den Maschinenraum gebracht. Dort schweißte die Maschinen-Crew Platten zur Verstärkung auf, so dass der Halt der Lukendeckel wieder gewährleistet war. Wir haben dafür Stunden gebraucht. Während dieser Zeit trieben wir in der aufgewühlten See. Gerade so viel Fahrt im Schiff, dass so wenig Seen wie möglich genommen wurden.
Irgendwann ist jeder Sturm mal zu Ende und wir strebten dem Zielhafen Liverpool in Nova Scotia, Kanada, entgegen. Weitere Zwischenfälle traten im Rest dieser Seereise nicht mehr auf, trotzdem waren wohl alle heilfroh, als wir in den Hafen einliefen.Da wir nicht mit eigenem Ladegeschirr löschten, konnten die meisten Besatzungsmitglieder ihren heiß ersehnten Landgang antreten. Auch die Maschinen-Crew war unter den Landgängern vertreten, hatte doch die „ELISABETH SCHULTE“ etwas, wovon andere Besatzungen träumen: ein wachfreies Notstromaggregat, das für den Betrieb des normalen Bordnetzes ausreichte. So gingen auf der „ELISABETH“ auch dann nicht die Lichter aus, wenn im Hafen alles an Land ging und nur ein Wachsmann an Bord blieb. Dieses Mal wurde es umfassend ausgenutzt ! Der Osten Kanadas hat seine Eigenheiten. Alkohol wurde damals nur in Clubs ausgeschenkt., dort hielten sich aber meist nur ältere Herren auf, das war nicht so ganz nach unserem Geschmack. Die holde Weiblichkeit war in den Cafés. Dort wurde zu unseren Leidwesen aber kein Alkohol ausgeschenkt. Trotzdem haben wir alles unter einen Hut bekommen und unser Nordatlantik-Abenteuer gebührend und ausgiebig gefeiert.
Dass die „ELISABETH“ doch mehr als angenommen gelitten hatte, merkten wir erst beim nächsten Beladen des Schiffes. Während die Tiefgangsmarken am Bug und Heck anzeigten, dass wir abgeladen waren zeigte die Lademarke mittschiffs sich noch ein Stück davon entfernt. Unser Ladeoffizier hat gerechnet, es wurde begutachtet und beraten – aber es half alles nichts. Da war ein Unterschied, der nicht sein durfte und konnte. Das Schiff wurde neu vermessen und dabei stellte man fest, dass sich der Rumpf während der Schlechtwetter-Reise verzogen hatte – mit dem Auge zwar nicht zu erkennen, an den Lademarken ablesbar.
Unsere nächste Reise ging nach Mobile (Alabama), anschließend nach Houston (Texas), wo wir neben einer stinkenden Ladung Tierfelle für Klaipeda (damals noch Sowjetunion, heute Litauen) auch unseren neuen Deutz-Motorblock in Empfang nahmen. Wir konnten nun endlich wieder unsere normale Reisegeschwindigkeit von 12 Knoten laufen.